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„Die EU-Medizinprodukteverordnung gibt uns mehr Kontrolle über unsere Produkte – kostet aber auch Zeit und Ressourcen“ – Interview mit Janine Markwald-Jänicke (interco Group GmbH)

Janine Markwald-Jänicke ist Sales Managerin und Prokuristin bei der interco Group GmbH in Eitorf. Die interco Group GmbH ist ein international tätiges Medizintechnik-Unternehmen, das sich auf Reha-Lösungen im Bereich Sitzen und Positionieren spezialisiert hat. Wir sprachen mit Frau Markwald-Jänicke unter anderem über die Herausforderungen, die die EU-Medizinprodukteverordnung (MDR), der Fachkräftemangel und die Digitalisierung mit sich bringen und wie die interco Group GmbH zusätzlich den Generationenwechsel an der Firmenspitze gestaltet.  

Die interco Group! ist ein Familienunternehmen der Familie Markwald und wird momentan von zwei Generationen geleitet. Wie funktioniert die Zusammenarbeit in der Praxis? 

Janine Markwald-Jänicke: “Wir sind bei der Interco Group GmbH gerade im Übergang zur zweiten Generation. Zu Beginn des neuen Jahres wollen wir den Übergang der Firmenleitung auf meinen Bruder und mich aber abschließen. Momentan sind wir tatsächlich vier Führungskräfte: Meine Eltern, mein Bruder und ich. Wir Jüngeren profitieren klar von der langjährigen Erfahrung und dem Wissen unserer Eltern. Umgekehrt profitieren unsere Eltern von den Kenntnissen der jüngeren Generation in Bezug auf Digitalisierung und Innovationen. Ich glaube schon, dass dieser Erfahrungsaustausch zwischen Jung und Alt eine gute Mischung ist, von der unsere Kunden und Mitarbeiter profitieren.” 

Die neue EU-Medizinprodukteverordnung (MDR) gilt seit Mai 2021.  Hat diese Verordnung Ihre Produktion verändert?  

Janine Markwald-Jänicke: “Unsere Produkte sind schon seit über zwanzig Jahren zertifiziert. Nichtsdestotrotz merkt man mit Einzug der MDR das die Anforderungen größer geworden sind. Für uns ist der administrative Aufwand klar gewachsen. Wir müssen noch detaillierter dokumentieren und die einzelnen Produktionsschritte nachhalten. Dazu haben wir extra Mitarbeiter:innen abgestellt, die sich nun nur noch um dieses Thema kümmern, obwohl sie ursprünglich in ganz anderen Abteilungen eingeteilt waren. Die dadurch entstandenen Vakanzen mussten durch Neueinstellungen aufgefangen werden. Der personelle Aufwand hinter dem Zertifizierungsverfahren ist enorm.” 

Wie bewerten Sie insgesamt den Einfluss der EU-Verordnung auf die Medizintechnik?  

Janine Markwald-Jänicke: “Es gibt Vor- und Nachteile. Wir sehen es als Vorteil, dass wir nun einen besseren Überblick darüber haben, was mit unseren Produkten passiert, nachdem sie auf den Markt gebracht wurden. Das war in der Vergangenheit sehr schwierig für uns. Die Produkte wurden über den Sanitätsfachhandel ausgeliefert und auch wenn manchmal Ersatzteile bestellt wurden oder spezielle Anfragen an uns gestellt wurden, haben wir die Produkte oftmals einfach aus den Augen verloren. Durch die MDR haben wir die Chance, unsere Produkte regelmäßig wieder ins Haus zu holen, zu kontrollieren und auch Einfluss auf die Qualität zu nehmen. Dazu haben wir feste Service-Intervalle in den Gebrauchsanweisungen festgeschrieben, gewisse Änderungen sind ausschließlich über uns als Hersteller möglich. Dadurch behalten wir mehr die Kontrolle über unsere eigenen Produkte. 

Anders sieht es beim Thema Kombinationen aus. Wir sind ein Systemanbieter aber gleichzeitig auch ein Anbieter von Reha-Komponenten. Bei der Kombination von Komponenten verschiedener Hersteller muss der ganze Prozess eruiert, Sicherheit und Qualität überprüft und letztendlich festgeschrieben werden. Das sehen wir als größte Herausforderung. 

Ein Beispiel dafür ist unser individualisiertes dynamisches Sitzsystem AKTIVLINE. Die Kunden wünschen sich hier zusehends eine Kombination mit einem Elektrorollstuhl. Hier muss dann in Zusammenarbeit mit dem Anbieter für Elektrorollstühle der ganze Prozess – Prüfung, Zertifizierung, Festschreibung – durchlaufen werden. Der Weg dahin ist sehr zeit- und ressourcenintensiv. Ich bin nicht unbedingt davon überzeugt, dass dieser Aufwand die Versorgung der Patient:innen 100 Prozent sicherer oder besser macht.”  

Eine weitere Herausforderung in der Medizintechnikbranche ist auch hier der Fachkräftemangel. Wie reagieren Sie in Ihrem Unternehmen darauf?  

Janine Markwald-Jänicke: “Davon sind wir als Unternehmen mit einem ländlichen Standort stark betroffen. Unser Standort liegt zwar idyllisch, ist aber für junge Leute als Wohnort nicht gerade interessant. Einige unserer Mitarbeiter:innen gehen demnächst in Rente oder sind vor Kurzen in Rente gegangen, daher suchen wir händeringend neue Kräfte. Es gestaltet sich aber als sehr schwierig. Wir sind gezwungen, unsere Prozesse in der Produktion durch mehr und mehr Automatisierung entsprechend anzupassen – notgedrungen! Denn wir würden sehr gerne mehr Fachkräfte in den unterschiedlichen Produktionsschritten einsetzen und in den Abteilungen, in denen Innovationen entstehen – beispielsweise unserer eigenen Entwicklung und Konstruktion.” 

Wie könnte man dem Fachkräftemangel begegnen? 

Janine Markwald-Jänicke: “Ein großes Thema für die gesamte Gesundheitswirtschaft, vor allem in den Pflegeberufen ist sicherlich das Gehaltsgefüge, hier müssen bundesweit Anpassungen stattfinden. Grundsätzlich muss die ganze Branche für junge Leute attraktiver gestaltet werden. In den Ausbildungsberufen sollten die Lehrpläne entschlackt und aktualisiert und der Fokus mehr auf Digitalisierung und Innovationen gelegt werden. Dann werden sich auch mehr junge Leute für diese Branche interessieren. Einen Rollstuhl zu verkaufen oder zu produzieren ist sicher nicht dass, was Jugendliche als Traumberuf angeben würden… aber genau das ist es für Viele und auch für uns – ein Traumberuf – in den wir sehr viel Herzblut stecken und jeden Abend mit einem guten Gefühl ins Bett gehen.” 

Wie verändert die Digitalisierung die Medizintechnik und speziell Ihre Produktion? 

Janine Markwald-Jänicke: “Die Digitalisierung ist für uns ein Riesenthema. Unsere administrativen Abläufe werden durch digitale Prozesse schneller – Stichwort digitale Patientenakten. Für unsere Produkte nutzen wir schon lange die Möglichkeit, durch digitale Lösungen unseren Kunden individuelle Angebote machen zu können, beispielsweise bei der Sitzschalenanpassung durch 3D Scannen und die anschließende unmittelbare Datenübertragung an unseren Fräs-Roboter in der Produktion. Das spart wahnsinnig Zeit. In den kommenden Jahren wollen wir unseren Kunden die Möglichkeit bieten, auf eine digitale Konzepterstellung mit Avataren, die durch den Prozess begleiten, zurückgreifen zu können. Aber ab einem gewissen Punkt kann die persönliche Beratung nicht ersetzt werden, dazu sind unsere Produkte zu spezifisch – den menschlichen Kontakt werden wir immer weiter beibehalten.”  

Welche Herausforderungen sehen Sie zukünftig speziell auf die Reha-Technik zukommen? Welche Produkte werden gefragt sein? 

Janine Markwald-Jänicke: “Immer mehr gefragt werden Spezialanfertigungen, die genau auf die Kundenwünsche und die Wünsche der Familien eingehen – weg vom Standard, hin zu den personalisierten, individuellen Lösungen, die das soziale Umfeld und den Alltag der Familien berücksichtigen. Wir stellen da einen immer größeren Bedarf fest. Ich bin froh, dass wir nach Jahren der Pauschalversorgung endlich gezielt auf Patientenwünsche eingehen können. Eine besondere Herausforderung wird sicherlich die Weiterentwicklung der Produkte vor allem in puncto Digitalisierung, Customer journey und traceability der Produkte und das in rasanten Schritten.” 

Frau Markwald-Jänicke, herzlichen Danke für das Gespräch!

Die interco Group GmbH ist seit 2017 Mitglied im Gesundheitsregion KölnBonn e.V. Das Interview mit Frau Markwald-Jänicke führte Kathrin Gröhl am 6. Dezember 2021.