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Interview: Wie geht man psychischer Belastung am Arbeitsplatz auf den Grund, Herr Bode?

Die Berücksichtigung der psychischen Belastung wurde 2013 im Arbeitsschutzgesetz als Teil der Gefährdungsbeurteilung festgeschrieben und ist, gerade auch seit Beginn der Corona-Pandemie, immer öfter Thema in Unternehmen: Die wachsenden Zahlen der psychisch bedingten Krankenstände und Ausfälle stellen diese vor große Herausforderungen und machen den Handlungsbedarf deutlich. Der Gesundheitsregion KölnBonn e.V. sprach dazu mit Herrn Michael Bode, der als Geschäftsführer der VisionGesund Gesellschaft für betriebliches Gesundheitsmanagement mbH zahlreiche Projekte zur Analyse und Reduktion psychischer Belastungen begleitet hat.

Sehr geehrter Herr Bode, psychische Belastung am Arbeitsplatz – was ist damit konkret gemeint und welche Auswirkungen hat dies auf Arbeitnehmer:innen und Unternehmen?

„Bei dieser Frage ist es wichtig, zunächst die Begrifflichkeiten zu erläutern, denn hier entstehen oft Missverständnisse. Der Begriff Psychische Belastung umfasst alle erfassbaren Einflüsse, die von außen auf einen Menschen treffen und sich psychisch auf diesen auswirken. Entsprechend ist diese Belastung zunächst einmal als neutral und für alle Personen gleich definiert. Im Arbeitsumfeld ergeben sich psychische Belastungen typischerweise in den Bereichen Arbeitsaufgaben (z.B. Zeitvorgaben, Entscheidungsanforderungen, Weiterbildung), Umgebungsbedingungen (z.B. Geräuschpegel, ergonomische Verhältnisse, Lichtverhältnisse), betriebliche Organisation (z.B. Verantwortung, Prozesse, Kompetenzregelungen), zwischenmenschliche Beziehungen (z.B. Arbeitsbeziehungen zu Vorgesetzten und Kollegen, Betriebsklima, Wertschätzung) aber auch neue Arbeitsformen (z.B. Befristungen, flexible Arbeitsorte, mobiles Arbeiten).

Davon zu unterscheiden ist nun die psychische Beanspruchung. Der Begriff bezeichnet die Auswirkungen, die eine psychische Belastung auf die Mitarbeiter:innen haben kann. Beanspruchungen können positiv sein und entsprechend zu Lerneffekten und Wachstum führen. Wirken sich diese allerdings negativ aus, kann es zu psychischen Folgen wie Erschöpfung, Bournout oder Resignation kommen. Um diese negativen Folgen für Mitarbeitende zu reduzieren, ist es wichtig, nicht bei der Beanspruchung anzusetzen, sondern bei der Belastungssituation. Denn hier kann an den Ursachen aktiv die Arbeitssituation gestaltet werden. Dank gezielter Maßnahmen kann die negative Beanspruchung vermindert oder sogar verhindert werden.“

Auf welche Warnzeichen bei möglichen Überlastungen sollten Führungskräfte bei ihren Mitarbeiter:innen achten? 

„Ich möchte gerne dafür plädieren, dieses Thema von einem anderen Blickwinkel zu betrachten: Wie kann ich mit meinen Mitarbeiter:innen kontinuierlich so gut im Dialog sein, dass ich schon vor den Warnzeichen erfahre, ob sich etwas zusammenbraut? Wöchentliche Teammeetings zur aktuellen Arbeitssituation oder ein kurzer regelmäßiger 14-tägiger Austausch kann helfen. Die Fragestellung kann dabei sein: Wie geht es dir hier? Was brauchst du von mir, damit du deine Ziele erreichen kannst? Was hilft dir, um gut arbeiten zu können?

Konnte die Früherkennung negativer Einflüsse nicht erfolgen, können unerwartete Stimmungsschwankungen (z. B. Gereiztheit), Häufung von Fehlern oder Zurückgezogenheit deutliche Signale sein – jeder Mensch reagiert allerdings unterschiedlich auf die vielfältigen Einflüsse. Konflikte im Team können auch ein Warnzeichen dafür sein, dass etwas in der Arbeitsorganisation, z. B. die Verteilung von Aufgaben und Verantwortlichkeiten, nicht gut gelingt und nicht die Beteiligten ein persönliches Problem haben.“

Wie können Arbeitgeber:innen die Gefährdung durch psychische Belastung analysieren?

„Zur Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen gibt es drei zentrale Methoden. Zunächst einmal gibt es die standardisierte Mit­arbeitenden­befragung. Sie sammelt die subjektiven Beurteilungen der Mitarbeiter:innen. Potenziell werden hier also alle einbezogen.  Zudem bietet sie auch den großen Vorteil der Anonymität. Über konkrete Änderungswünsche oder Maßnahmen verrät die Mitarbeitendenbefragung allerdings noch nicht viel. Daher erfordert dieser Zugang immer eine zweistufige Analysephase mit einer nachgreifenden Feinanalyse und erst dann kann es zur Maßnahmenplanung kommen.

In sogenannten Analyse-Workshops hingegen kommen Mitarbeiter:innen und Führungs­kräfte zusammen – in der Regel erfolgt dies in zwei aufeinander aufbauenden Workshops (einer zur Analyse und einer zur Planung). Eine offene Vertrauens­kultur ist eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg.

Eine dritte Analysemethode ist das Beobachtungs­verfahren. Hier wiederum werden Mit­arbeiter:innen bei ihren Tätig­keiten durch geschulte Expert:innen begleitet und anhand eines standardisierten Tools interviewt. Diese Methode ist dadurch interessant, dass sie nicht nur die subjektiven Einschätzungen der Mitarbeiter:innen aufgreift – sollte aber durch zwei Personen gleichzeitig durchgeführt werden, um Interpretationsfehler zu reduzieren.“

Was können Arbeitnehmer:innen tun, um ihre mentale Gesundheit zu stärken? 

„Um mit Stress und Konflikten besser umgehen zu können, gibt es Techniken und Übungen, wie wir sie aus dem Themenkomplex Achtsamkeit und Resilienz kennen: Training von Techniken des Zeitmanagements, der Prioritätensetzung und die Verbesserung der Selbstreflexion. Eine Sensibilisierung oder Schulung zu diesen Themen kann Mitarbeiter:innen unterstützen mentale Gesundheit aufzubauen.  Zur Reduktion vorhandener innerer Spannungen helfen wiederum autogenes Training, Meditation, Yoga oder auch der ganz einfache Wald-Spaziergang. Ein gesunder Lebensstil spielt eine wichtige Rolle – Ernährung, körperliche Aktivität und ein gesunder Schlaf. Dazu gehört auch das Pflegen sozialer Bindungen zu Freunden und Familie, was ein großer Schutzfaktor und sicherer Baustein auf dem Weg zu mentaler Gesundheit ist.“

Welche Corona spezifischen Auswirkungen haben Sie bezüglich der psychischen Belastung von Arbeitnehmern beobachtet?

„Gerade auf Distanz im Home-Office kann es passieren, dass sich Mitarbeiter:innen allein gelassen und nicht gut informiert fühlen. Auch ist in unseren Workshops häufig genannt worden, dass die Zahl der Meetings und Termine stark angestiegen sei und dies einen Konflikt mit der ruhigen Bearbeitung von Aufgaben verursachen kann. Die Möglichkeit der dauerhaften und schnellen Erreichbarkeit per Videotelefonie hat zu einer deutlich höheren Anzahl an Meetings geführt. Problematisch ist es auch dann, wenn die Erreichbarkeitszeiträume und die Kommunikationskanäle nicht richtig geklärt sind und gleichzeitig ein hohes Maß an Freiraum besteht: Slack, Teams, WhatsApp, Telefon und E-Mail werden teilweise parallel zueinander genutzt und können zu einer Überschwemmung mit Informationen führen und zu Erschöpfung, da kontinuierlich eine Vielzahl an Kanäle beobachtet werden müssen. Klare Kommunikation, regelmäßiger Austausch und Regeln zu Pausen, Erreichbarkeit und Nutzung der Kommunikationskanäle auch für das mobile Arbeiten sind da sehr hilfreich.“

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Bode!

Weitere Informationen zu unserem Vereinsmitglied VisionGesund finden Sie hier VisionGesund Gesellschaft für betriebliches Gesundheitsmanagement mbH