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Nachbericht: Fachdialog Zukunft der häuslichen Pflege?! am 27. April 2023

Am Donnerstag, den 27. April 2023, fand unser Fachdialog mit Expert:innen über die Herausforderungen der regionalen Versorgung bei Menschen mit Pflegebedarf in der Häuslichkeit statt. Unter Moderation von Dr. Ursula Kriesten, MBA, Vorstandsmitglied des Gesundheitsregion KölnBonn e.V., berichteten und diskutierten die rund 30 Referent:innen und Gäste aus Wissenschaft und Praxis über wissenschaftliche Erkenntnisse, persönliche Eindrücke aus dem Berufsleben sowie mögliche Lösungsansätze zu der Frage, wie die Zukunft der häuslichen Pflege in Deutschland aussehen kann.

Vorstandsmitglied Dr. Ursula Kriesten moderiert den Fachdialog.

Nach der Begrüßung und Einführung ins Thema durch Dr. Kriesten eröffnete Prof. Dr. phil. Sascha Köpke die Reihe der Impulsvorträge. Als Leiter des Institutes für Pflegewissenschaft der Universität zu Köln berichtete er unter dem Titel „Fakten, die Sie über die (regionale) Pflege-Situation wissen sollten“ über aktuelle Trends in der Pflege und bezog sich dabei auf den zweiten Bericht zur Kommunalen Pflegeplanung der Stadt Köln. So sei bspw. der Anteil von Pflegebedürftigen in vollstationärer Pflege rückläufig, da die ambulante Pflege zunehme, insgesamt zeige sich aber z.B. speziell in Köln ein Trend zu mehr Pflegebedürftigkeit bei gesunkener Anzahl an beruflich Pflegenden. Außerdem sei in Kölner Stadtvierteln mit objektiv mehr Pflegebedarf (z.B. aus sozioökonomischen Gründen) weniger Versorgung vorhanden. Prof. Köpke wies darauf hin, dass die Stadt Köln den Ausbau aller nicht-stationären Pflegeangebote, aber auch einen moderaten Ausbau der vollstationären Pflege empfehle. „Pflege muss überall dabei sein.“ – diese Aussage unterstrich Prof. Köpke mit dem Wunsch, dass Pflegende – sowohl die professionellen als auch die privat Pflegenden – mehr in den deutschen Entscheidungsgremien vertreten sein sollten.
Den Anschluss machte Tassilo Mesenhöller, Geschäftsführer Friedrichshof Solingen e.V., Hauspflegeverein Solingen e.V. und Goudahof gGmbH. In seinem Vortrag mit Beispielen aus der Praxis zum Thema Menschen mit Pflegebedarf in der Häuslichkeit verdeutlichte er: „Es geht nicht nur um Pflege.“ Er brachte mit verschiedenen Beispielen zum Ausdruck, dass zur Pflege viel mehr gehöre als nur die konkrete Pflegetätigkeit: Es bestünden vielfältige Bedarfe, nicht nur für die Pflegebedürftigen, sondern auch für deren Angehörige. Dies werde in der Debatte oft vernachlässigt. Herr Mesenhöller beschrieb außerdem die Schwierigkeit, verlässliche Aussagen über die Anzahl pflegender Angehöriger zu treffen, da diese je nach verwendeter Definition stark variierten. Neben den schwierigen Rahmenbedingungen und den Problembereichen ging er aber auch auf bereits vorhandene Lösungsansätze für die Versorgungssituation in der häuslichen Pflege ein. Er sprach sich außerdem für eine politische Digitalisierungsstrategie für die Pflege aus, die dringend notwendig sei.
Ein dritter Impulsvortrag kam von Dr. Regina Görner, Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (BAGSO). Sie referierte frei unter dem Titel „Zuhause alt werden! Bis zum Tod?“. Das große Beratungsangebot zur Pflege, das in Deutschland existiere, führe nicht dazu, dass das System für diejenigen, die Beratung suchen, transparenter werde. Auch sie sprach die digitalen Angebote in der Pflegebranche an, deren Mehrwerte und Qualität ihrer Meinung nach noch weiter ausgebaut werden müssen.

Nach diesen Impulsen fand eine kurze Pause statt, in der sich die Teilnehmer:innen bei Kaffee, Kaltgetränken und Snacks angeregt austauschten.

Den zweiten Teil der Veranstaltung eröffnete Dr. Kriesten mit einführenden Worten zu Mirjam Toews und dem von ihr gegründeten Unternehmen MusikSpitex. Frau Toews erzählte, wie das Ausfallen von Konzerten während der Corona-Pandemie sie als Musikerin hart getroffen hatte und wie die Spende eines Spitex (in der Schweiz die Bezeichnung für einen ambulanten Pflegedienst) sie auf den Weg zur Gründung ihres Unternehmens gebracht hatte. MusikSpitex habe es in der Pandemie möglich gemacht, dass pflegebedürftige Menschen in ihrer Häuslichkeit Kultur und neue schöne Momente erleben konnten. Das Konzept, dass professionelle Musiker:innen über Vermittlung durch die ambulanten Pflegedienste die Pflegebedürftigen zu Hause besuchen und dort Konzerte spielen, sei nach wie vor ein voller Erfolg und soll nun auch in unserer Gesundheitsregion umgesetzt werden, in Form des Projektes CaMusi – Care and Music. Für die Realisierung der Initiative läuft derzeit eine Crowdfunding-Aktion. Die Violinistin Ha-Na Lee gab als Untermalung mit einem dynamischen Stück eine praktische Darbietung dessen, wie ein solches Hauskonzert aussehen kann.
Im Anschluss daran stellte Dietmar Fischer vom Regionalbüro Bergisches Land die Arbeit der Regionalbüros Alter, Pflege und Demenz vor. Er ging auf die verschiedenen Arbeitsschwerpunkte der Initiative sowie auf deren konkrete Tätigkeiten in der Praxis zur Weiterentwicklung der Versorgungsstrukturen ein. Hierzu kam aus dem Publikum der Impuls, dass die Regionalbüros u.a. deshalb noch sehr unbekannt in der Bevölkerung seien, weil die Unterstützung meist im Hintergrund geschehe, die Betroffenen also nicht direkt sehen würden, woher die Hilfe komme.
Herr Mesenhöller berichtete in einem letzten Kurzvortrag über das Projekt INGE – integrate4care und sprang dabei ein für den kurzfristig verhinderten Alexander Gabber (Universität zu Köln). Herr Mesenhöller beschrieb das Projekt als ein positives Beispiel dafür, wie Digitalisierung in der Pflege eine Erleichterung für die Pflegekräfte sein könne.

Podiumsdiskussion: „Häusliche Pflege“- Braucht es einen radikalen Wechsel?

Anschließend leitete Dr. Kriesten zu einer kurzen Podiumsdiskussion über. Neben Tassilo Mesenhöller diskutierten Harald Klotz (Abteilungsleiter, Hilfen für Pflegebedürftige, Aufgaben nach dem Alten- und Pflegegesetz, Oberbergischer Kreis), Bernhard Rappenhöner (Geschäftsführer, Lebensbaum GmbH) und Frederic Seebohm (Vorsorgeanwalt, Geschäftsführer des Bundesverbandes für häusliche Betreuung und Pflege e.V.) zu der Frage: „Häusliche Pflege“- Braucht es einen radikalen Wechsel? In der Runde entstand eine inhaltlich harte Diskussion zum Thema Leiharbeit und 24-Stunden-Pflege und es wurde deutlich gemacht, dass spätestens jetzt die Politik gefordert sei, die richtigen Rahmenbedingungen für die Pflege zu schaffen. Laut Herrn Rappenhöner sei die Frage nicht, ob man sich darauf einigen könne, dass Pflegekräfte eine angemessene Bezahlung erhalten sollten – hierüber bestehe bereits ein Konsens. Die Frage sei eher, ob wir als Gesellschaft dazu bereit seien, diese angemessene Bezahlung zu refinanzieren.

Zum Abschluss der Veranstaltung konnten sowohl die Teilnehmer der Podiumsdiskussion als auch unsere Gäste ihre Forderungen an eine Pflegeversicherung 2.0 stellen.

  • Nachhaltige Finanzierung des ambulanten Bereichs
  • Konsens über Fachkräftemix
  • Gleichmäßige Finanzierung aller Pflegebereiche
  • Mehr finanzieller Gestaltungsspielraum seitens der Kommunen
  • Pflegeprävention in der Regelfinanzierung verankern
  • Steuerfinanzierung für pflegende Angehörige/Entlastung der Familien
  • Weniger Bürokratie für Pflegefachkräfte/Pflegedienste, einfachere Umsetzung
  • Rechtssicherheit für Betreuungspersonen in häuslicher Gemeinschaft

Wir bedanken uns bei Dr. Ursula Kriesten für die Moderation, bei allen Referent:innen für ihre Beiträge sowie bei allen Teilnehmer:innen, die zugehört, sich eingebracht und mitdiskutiert haben.